Herr Hager
Lehrer für Geschichte und Philosophie
 
 

Einhard: Die Macht des Wissens

Kurzbiographie eines mittelalterliches Geschichtsschreibers


Es war schon spät und die Andacht gerade vorüber, als der alte Mann langsam den Kreuzgang entlang schritt. Leicht nach vorne gebeugt, war er tief in Gedanken versunken. Man hätte ihn für einen Schüler des Aristoteles halten können, einen einsamen Herumwandler. Er war von recht kleiner Statur, schlurfend sein Gang, und doch fühlte man sich in seiner Gegenwart unsicher und ahnungslos. Es war die Macht seines immensen Wissens, die ihm Größe verlieh, er aber war der Diener eines Herren, den alle nur „den Großen“ nannten.

Dieser Mann, der in unseren Tagen wohl in der Menge der Gesichter untergegangen wäre, hieß Einhard, Sohn des Einhard und dessen Frau Engilfrit, und stammte aus edlem ostfränkischem Geschlecht. Er wurde vermutlich um das Jahr 770 n. Chr. in der Maingegend geboren. Seine Eltern gaben ihn schon früh in das Kloster zu Fulda, in dem er erzogen wurde und zwischen 788 und 791 als Urkundenschreiber sein Dasein fristete. Begierig muss er jedes Buch, das er in den Archiven gefunden hat, gelesen haben. Die Macht der Buchstaben muss ihn fasziniert haben, auch wenn die meisten Menschen seiner Zeit glaubten, dass das Schwert das bessere Argument sei.

Der Abt des Klosters zu Fulda, Baugulf war sein Name, schickte Einhard um 791/92 zur weiteren Ausbildung an den Hof Karls des Großen in Aachen. Der in dieser Zeit wohl bedeutendste Ort neben der Ewigen Stadt Rom. Dort zeichnete er sich durch seine große Wissbegier und seine Kenntnis der lateinischen Klassiker, wie z.B. Caesar, Livius, Ovid, Cicero und Tacitus, aus. Am Hofe beschäftigte er sich mit literarischen und mathematischen Studien und wurde schließlich der Nachfolger Alkuins als Leiter der Hofschule des Kaisers. Nach Einhards eigenen Aussagen entwickelte sich bald eine enge Freundschaft zwischen ihm und Karl. Bald übertrug ihm der Kaiser auch die Aufsicht über die Bauten und kunstgewerblichen Werkstätten, so dass sich Einhard durch seine wissenschaftlichen und künstlerischen Fähigkeiten eine herausragende Vertrauensstellung am Hofe erwerben konnte. Zu Lebzeiten Karls erhielt er jedoch nie eine hohe offizielle Stellung in der Regierung. Erst Ludwig der Fromme, Karls Sohn, machte ihn zu seinem Privatsekretär und zeichnete ihn für seine Dienste aus. Sein Verhältnis zum Nachfolger Karls des Großen war allerdings problematisch. Einhard vertraute mehr auf Lothar, Ludwigs Sohn, den er als seinen Schüler betrachtete und dem er als Berater diente. Als jedoch der Konflikt zwischen Vater und Sohn auszuufern begann, bat er um seine Entlassung aus dem Hofdienst und begab sich mit seine Frau Imma in das 827 von ihm gegründete Kloster Seligenstadt. Zwar nahm er auch weiterhin am politischen Geschehen seiner Zeit teil, doch scheint er in seinen letzten Lebensjahren immer pessimistischer geworden zu sein. Zu der Aussöhnung zwischen Ludwig und Lothar im Jahr 839 dürfte er einen großen Teil beigetragen haben. Kurze Zeit danach starb Einhard am 14. März 840, in Seligenstadt.

Neben den zahlreichen Briefen und religiösen Schriften, die uns von Einhard erhalten geblieben sind, ist sein berühmtestes Werk die Biografie Karls des Großen, Vita Karoli Magni. Sie stellt das einzige Zeugnis über den Kaiser dar, das von einem Zeitgenossen verfasst wurde. Die Entstehung des Werkes legt man heute in das Jahr 836, sicher ist jedoch, dass es nach 830 oder 833, also nach dem Weggang Einhards vom kaiserlichen Hof, geschrieben wurde.

Wenn wir uns nun fragen, was Einhard in Verbindung mit der Vita Karoli Magni zu einem bedeutenden Historiker macht, so kann es schwerlich seine historische Genauigkeit sein. Er gibt Regierungsjahre oft falsch an und behauptet das Gegenteil von dem, was sich tatsächlich zugetragen hat. Er misst unbedeutenden Schlachten großen Wert zu, verwechselt die Namen der Päpste und zählt die Gemahlinnen und Kinder Karls falsch auf. Man muss jedoch bedenken, das Einhard zur Zeit der Abfassung des Werkes über sechzig Jahre alt war und der Tod des Kaisers beinahe zwanzig Jahre zurück lag. Trotz dieser Ungenauigkeiten ist Einhards Werk dennoch von großer Bedeutung für die mittelalterliche Forschung. Zum Ersten folgt der Aufbau des Stoffes römischen Vorbildern, ganz im Zeichen der Karolingischen Renaissance, jedoch bleibt die Gestalt des Kaisers „germanisch“. Zweitens stellt das Werk die persönliche Hochachtung Einhards nicht nur vor den kriegerischen Taten des Kaisers, sondern auch vor dessen einzigartiger Persönlichkeit dar:

„Karl war ein begabter Redner, er sprach fließend und drückte alles, was er sagen wollte, mit äußerster Klarheit aus. Er beherrschte nicht nur seine Muttersprache, sondern erlernte auch fleißig Fremdsprachen.“ (S. 49, Kap 25, Satz 1 und 2)1

Dies muss auch im Zusammenhang mit der Nachfolge Karls durch Ludwig den Frommen gesehen werden, den Einhard für den Niedergang des Karolingischen Reiches verantwortlich machte. Drittens ist in der Vita Karoli Magni das Selbstverständnis Karls und seiner Herrschaft sowie der beginnende Gegensatz zwischen Kaiser und Papst wiederzufinden. Es wird deutlich, dass seine Herrschaft mehr als das Erlangen des durch den Papst verliehenen Kaisertitels zum Ziel hatte, den er nach Darstellung Einhards regelrecht aufgezwungen bekam und nur widerwillig annahm:

„Bei dieser Gelegenheit erhielt er den Kaiser- und Augustus-Titel, der ihm anfangs so zuwider war, dass er erklärte, er würde die Kirche selbst an jenem hohen Feiertage [25.12.800] nicht freiwillig betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes geahnt hätte.“ (S. 53, Kap. 28, Satz 4)

Karl wollte sich als Kaiser durch Gottes Gnaden verstanden wissen, wohingegen der Heilige Stuhl ihn, die tatsächlichen Machtverhältnisse ignorierend, lediglich als Kaiser von Petrus Gnaden darstellte.

Einhard wurde auch durch sein Karlsbiographie zu einem der angesehensten fränkischen Universalgelehrten. Die Beliebtheit seines Werkes, es existieren mehr als achtzig erhaltene Handschriften, liegt in der angenehmen Lesbarkeit, auch in der hochdeutschen Übersetzung des lateinischen Originals, begründet. Einhard präsentiert sich uns als einer der geistreichsten, klügsten und beliebtesten Vertreter seiner Zeit, der neben den großen Herrschern nicht nur bestehen kann, sondern sie in vielem an Sachverstand und Einsicht übertraf.

Herr Hager (1997)

Anmerkung:

[1] Quellenauszüge zitiert nach: Einhard: Vita Karoli Magni. Das Leben Karls des Großen, Lateinisch / Deutsch, mit Anm. und Nachw. von Evelyn Scherabon Firchow, Stuttgart 1997.

Abbildung:

Einhard in den Grandes Chroniques de France, Paris, BnF, lat. 2813, fol. 85v A, 14. Jahrhundert (1375–1380); wikipedia.de.